„Wir fahren dieses Jahr nach Südengland.“ „Ah, nach Cornwall? Das soll ja sooo schön sein.“ Sobald das Stichwort „Südengland“ fällt, dreht sich plötzlich alles um Cornwall. Dabei liegt die Grafschaft, wenn man es ganz genau nimmt, eigentlich im Südwesten Großbritanniens. Und, sorry Cornwall, sie ist bei weitem nicht alles, was Englands Süden und Südwesten zu bieten haben.

Nachvollziehen kann ich die Begeisterung für diesen berühmten Zipfel der Insel, auch wenn ich dort das mit Abstand schlechteste Wetter meiner gesamten Englandaufenthalte hatte – vier Tage Dauerregen. Na danke. Die Auswahl an alten Landhäusern, tropischen Gärten, Wahnsinnsstränden (wie in der Karibik) und spektakulären Küstenabschnitten ist einfach riesig. Hinter jeder Kurve verbirgt sich ein anderer bildhübscher Fischerort mit verwinkelten Gassen, alten Pflastersteinen und reetgedeckten Cottage-Häuschen. Und dann wären da aus kulinarischer Sicht noch der traditionelle Cream Tea und der frisch gefangene Fisch. Da überrascht es wirklich nicht, dass sich in der Hauptsaison alle auf den Weg in den Südwesten machen. Dementsprechend voll geht es auf den Autobahnen und Landstraßen zu. Bei meinem ersten Cornwall-Urlaub habe ich für eine Strecke von knapp vier Stunden gute elf Stunden gebraucht. Genau, elf Stunden Linksverkehr, quasi zum wieder reinkommen… Ich weiß ja nicht, wie gerne du im Stau stehst, aber ich fahr in der Hauptsaison dann doch lieber in eine andere schöne Grafschaft und überlasse Cornwall den deutschen Touristen.

Devon – der heimliche Star im Südwesten

Zwei gegensätzliche Küsten und Natur Pur

Noch ein echter Geheimtipp ist die Grafschaft Devon. Sie liegt direkt neben Cornwall und erstreckt sich von der Nordküste bis in den Süden. Dadurch hat sie als einzige Grafschaft in England zwei völlig voneinander getrennte Küstenlinien. Die sind sehr gegensätzlich und lassen auf 500 Kilometer Länge keine Urlaubswünsche offen. Im Norden ist die Küste ursprünglich und rau und dichte Wälder überziehen die steilen Hänge. Mitten ins Grüne eingebettet liegen kleine Ortschaften, versteckte Strände und Fischerhäfen. Landschaftlich besonders spannend ist der Streckenabschnitt der A39 zwischen Minehead und Lynton. An vielen Stellen hat man aus dem Auto aus freie Sicht aufs Meer, das unten in der Tiefe gegen die Klippen rauscht. Mit etwas Glück begegnet man den wilden Exmoor Ponys, die in kleinen Gruppen oft erstaunlich nah an der Landstraße und an Parkplätzen grasen. Wer gerne wandert oder spazieren geht, der kann sich im Exmoor Nationalpark austoben. Die ausgedehnten Moorflächen und verwunschenen Waldstücke sorgen für eine ganz besondere Atmosphäre. Auf der Seite des Parks gibt es Wandervorschläge, nach Themen und Schwierigkeitsgrad sortiert.

IMG_3750
Fahrschule made in England

So idyllisch die Gegend ist, für Fahranfänger im Schaltwagen ist es vermutlich Nervenkitzel pur, denn 20 bis 25 Prozent Steigung hat man zu Hause nicht alle Tage. Selbst mit 15 Jahren Fahrpraxis überkommt einen am Fuß eines solchen Hügels schnell mal das Grauen. Da hilft nur Fuß auf’s Gas und hoffen, dass alle Locals Reißaus nehmen. Spätestens bei Gegenverkehr zeigt sich, wer in der Fahrschule beim Anfahren am Berg gut aufgepasst hat. PS. Ab dem dritten Mal macht es richtig Spaß…

Zwei ungleiche Zwillinge

Einer dieser extrem steilen Hügel verbindet den Ort Lynmouth mit seinem Zwilling Lynton. Das beschauliche Lynmouth liegt in einer Waldsenke direkt am Meer. Zwei Flüsse treffen sich im kleinen Ortskern und fließen das letzte Stück gemeinsam ins Meer. Im Hafenbecken schaukeln bunte Fischerboote, Netze und Reusen vor dem historischen Rhenish Tower sorgen für Seemannsstimmung – auch geruchlich. Der Ortskern selbst besteht aus einer kleinen Einkaufsstraße mit hübschen Steinhäusern, Kunstgalerien und einladenden Pubs und Restaurants. Im Meer versuchen Surfer ihr Glück, an der Promenade spielen ältere Semester eine Art Minigolf.

Direkt oberhalb Lynmouths liegt Lynton, auf einer Art Plateau von Wald und Hügeln umgeben. Für Fußgänger sind die Orte spektakulär mit einer historischen, durch Wasserkraft angetriebenen Standseilbahn verbunden (oder für Sportsfreunde über Serpentinen).

Im Gegensatz zu Lynmouth ist Lynton sehr ruhig und gar nicht touristisch. Die Atmosphäre ist wie aus einer anderen Welt, die steilen Gassen und die bisweilen surreale Lichtstimmung erinnern an ein Bergdorf. Von Lynton spaziert man mit Meerblick in rund 20 Minuten zur Gesteinsformation „Valley of the rocks“. Der Weg ist Teil des Fernwanderwegs South West Coast Path, der entlang der Küste bis in den Süden nach Dorset führt. Im Sommer grasen zwischen den bizarren Felsbrocken Schafe und ab und an hoppelt eine Kaninchenfamilie vorbei.

lynmouth-4393949_1920
Hafen von Lynmouth
P1190348
valley-of-the-rocks-4393931_1920
Valley of the rocks

Highlights des südlichen devons

Wer Norden sagt, muss auch Süden sagen. Nach dem etwas raueren Klima schadet ein bisschen Riviera-Feeling nicht. Das gibt es in den kleineren Städten direkt am Meer zur Genüge: in der mittelalterlichen Seefahrerstadt Dartmouth, dem Wassersportparadies Salcombe oder dem Seebad Torquay. Etwas abseits und weniger touristisch ist Sidmouth. Das Städtchen liegt an den Ausläufern der Jurassic Coast, einem UNESCO Naturwelterbe. Steile Klippen aus rotem Fels schließen direkt an den Kies- und Sandstrand an. Bei einem Spaziergang entlang der Promenade in der Abendsonne kommen die leuchtenden Farben des Gesteins am besten zur Geltung. Als entspannter Standort für Ausflüge in die Region ist der Ort perfekt. Leckeres Abendessen gibt es im traditionellen Pub „The Ancor“, mitten im Ortskern. Dort kann man schon mal an drei Abenden in Folge hausgemachte Lasagne essen, einfach weil sie so gut ist (gefolgt von einem unfassbar cremigen Baileys-Cheesecake).

Maritimes Flair und Geschichte satt

Bei soviel Dolce Vita darf dann auch ein bisschen touristische Aktivität nicht fehlen. Die größten Städte im Süden, Plymouth und Exeter, bieten genug Material für eine ausgedehnte Stadtbesichtigung. Plymouth punktet mit seiner entspannten studentischen Atmosphäre und der Lage direkt am Meer. Außerdem lohnt der Leuchtturm „Smeaton’s Tower“ einen Besuch. Bei einem Coffee to go hält man dort ein Schwätzchen mit dem netten Cafébesitzer und schaut den Fährschiffen zu, die sich gekonnt durch die winzige Hafeneinfahrt quetschen. In Exeter steht Geschichte auf dem Programm. Die berühmte Kathedrale prägt das Stadtbild und ist trotz Eintrittsgebühren wirklich einen Besuch wert. Um die Kathedrale gruppieren sich historische Fachwerkhäuser mit kleinen Geschäften und originellen Cafés. Schnäppchenjäger finden im Barbour-Outlet gegenüber der Kathedrale die typisch britischen Wachsjacken (ohne wegen des Preises gleich Schnappatmung zu bekommen).  

Der Fels ruft

Zwischen beiden Städten liegt der zweite Nationalpark der Grafschaft, das Dartmoor. Auf den Moor- und Heideflächen grasen wilde Ponys und Kuhherden. Und für Wanderer gibt es auch hier unzählige Möglichkeiten, die weite Landschaft zu genießen. Tipp: Wer nur Zeit für einen kurzen Spaziergang hat, der fährt zum Besucherzentrum des National Parks (6 Haytor Ct, Haytor, Newton Abbot TQ13 9XS). Das Ziel, die Gesteinsformation Haytors Rock, liegt vom Parkplatz aus schon in Sichtweite. Rund 20 Minuten geht es über einen Wiesenweg bergauf. Die Aussicht von oben auf die sattgrünen Hügel lohnt den kurzen aber steilen Aufstieg. Wer mag, klettert für ein Bergbezwinger-Foto auf einen der Gesteinsbrocken und hat eine der schönsten Landschaften Englands zu Füßen.