Richtiger Regenurlaub in London kann einen durchaus erwischen. Die Stadt ist schließlich nicht für 365 Tage Sonnenschein berühmt. Die gute Nachricht ist, dass die Wahnsinnsmetropole bei jedem Wetter viel zu bieten hat – und zwischen zwei Regenwolken oft doch noch ein bisschen die Sonne scheint. Ideen für Regentage verrate ich dir in diesem Beitrag. Entdeckt habe ich einige dieser Tipps als ich vier Tage bei Mistwetter allein in einem Appartment in London saß. Angefangen hat alles mit einem Vorsingen…

In Großbritannien leben und arbeiten – seit meinem Auslandssemester 2011 habe ich mit dem Gedanken gespielt, irgendwo in England oder auch Schottland nochmal für eine Weile mein Zelt aufzuschlagen. Mit Job und Mann mit Job ist es nur gar nicht so einfach, einen Tapetenwechsel in der Größenordnung über die Bühne zu bringen. Im Spätsommer 2019 wurde das ganze trotzdem für eine kurze Zeitspanne überraschend konkret. Der Glyndebourne Opera Chorus suchte für die Festivalsaison 2020 (Corona, sag ich rückblickend nur…) Sängerinnen und Sänger und hatte zum Vorsingen nach London eingeladen. Die Rahmenbedingungen waren absolut undurchsichtig, weder gab es Infos zum genauen Zeitraum der Proben und Vorstellungen, noch zur Gage, aber bei einem Haus von Weltrang kauft man die Katze eben auch mal im Sack. Ende September saß ich im Flieger nach Gatwick, hatte meine erste Übernachtung bei Freunden in East Grinstead organisiert und mich nach dem Vorsingen ganz spontan mit einer Freundin für ein paar Urlaubstage in London verabredet. Gar nicht schlecht für die erste Geschäftsreise.

Improvisieren ist alles

Zum Vorsingen ging es früh am Morgen mit dem Regionalzug nach London Victoria und der Tube bis zum Regents Park. Im Rudolf Steiner-Haus sollte das Spektakel stattfinden. Wer schon mal mit klassischen Musikern zu tun hatte, weiß, dass Ruhm und Ehre auf der Bühne oft nichts mit dem zu tun haben, wie es Backstage zugeht. Auf der winzigen Toilette, die später als Umkleide herhalten musste, hing ein hübsches „Warm-up“-Verbotsschild. Frechheit, wo soll man sich dann bitte Einsingen? Etwa im Park?
Der Regent’s Park hatte vermutlich noch nie soviele verdruckst vor sich hinsingende Besucher, wie an diesem Morgen. Ich hatte Glück und schnappte mir den Platz mit der meisten Privatsphäre – unter einer riesigen Trauerweide. Die Äste dieses alten Baumes hingen wie ein Vorhang bis auf den Rasen. Gehört hat man mich sehr sicher im Park, aber zumindest wusste so keiner, wer der Schreihals war…

Geschäftsreise meets Solourlaub

Das Vorsingen selbst war in drei Minuten vorbei. Drei Minuten! Was für ein Glück, dass man in London auch Urlaub machen kann. Krankheitsbedingt allerdings doch ein Solo-Urlaub und kein lustiger Mädelstrip. Also drei Tage endlose Spaziergänge durchs Villen-Viertel und durch den Park Hampstead Heath, spontaner Smalltalk im Café mit anderen Alleinsitzenden, einen Gewaltmarsch bis zum Buckingham Palace, zielloses Stöbern im Tee- oder Buchladen… Kann man schon mal machen. Und man spart sogar noch Geld, weil man ganz sicher nicht  abends alleine Essen geht. Zumindest mir fehlt da jegliche Motivation. Und wozu gibt es bei M&S Convenience Food und in der verwinkelten Altbauwohnung mit der steilsten Treppe der Welt eine Mikrowelle? Dumplings, Satéspieße und Chicken Tikka Masala, dazu drei Stunden schrecklich langweiliges Fernsehprogramm (eine Doku über Eisenbahnbrücken war noch das Spannendste), fertig ist der Solo-Couch-Abend.

Wenn der Nachbar zweimal klingelt...

Als hätten meine Nachbarn geahnt, dass ich gerne etwas Gesellschaft hätte, bekam ich am zweiten Tag morgens Besuch. Erst wollte ich dem Sturmklingler gar nicht aufmachen – könnte ja weiß Gott wer draußen stehen. Weil das Läuten dann doch sehr penetrant wurde, öffnete ich einem Herrn, Typ Geschäftsmann mit auf Hochglanz polierten Lederschuhen. Ob ich eine Terrasse hätte, wollte er wissen. Tatsächlich war da so etwas Terrassenähnliches mit ein paar klapprigen Balkonstühlen. Wegen des Dauerregens der vergangenen Nacht sah es allerdings mehr aus wie ein Schwimmbad mit 20cm Wassertiefe. Gehört wohl so, hatte ich mir gedacht. Die Engländer werden wissen, was sie tun.
Wussten sie nicht. Im Büro unterhalb meiner Wohnung regnete es schon von der Decke. Und wohl nicht zu knapp. Warum würde sich sonst jemand in den besten Lederschuhen draußen im strömenden Regen von Klappstuhl zu Klappstuhl hangeln und den verstopften Abfluss suchen? Ein Klempner rettete uns drei Stunden später vor dem Hochwasser und ich konnte endlich in den Tag starten.

Gegensätze ziehen sich an – Ideen für NIeselregen

nobel unterwegs in Hampstead

Hampstead ist ein Stadtteil im Bezirk Camden und eines der bevorzugten Wohnviertel Londons. Angeblich wohnen dort englandweit die meisten Millionäre. Als Tourist kann man den Reichtum nur erahnen, einige Villen sind aber definitiv spektakulär. Die Hauptstraße zieht sich steil den Berg hinauf bis zum höchsten Punkt Londons 134 Meter über N.N. Die charmante schmale Einkaufsstraße hat alles, was man zum Bummeln, Kaffee trinken oder schön essen gehen braucht, vorausgesetzt, man muss nicht jeden Penny des Urlaubsbudgets umdrehen.
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Von meinem allerersten London-Besuch ist mir Hampstead vor allem wegen seines riesigen Parks in Erinnerung geblieben. Hampstead Heath hat viele Teiche und Tümpel,  alte verwunschene Waldstücke, Sümpfe, typisch englische Hecken und weitläufige Grasflächen. Bei Regen bleibt man unter den großen alten Bäumen relativ trocken. Am Rand des Parks liegt Kenwood House aus dem 17. Jahrhundert. Im Herrenhaus kann man sich in der wunderschönen alten Bibliothek und in der Gemäldegalerie die Zeit vertreiben. Der Eintritt ist frei. Nebenan gibt es im Garden Shop originelle Mitbringsel (mein Neffe fand seine Riesen-Gummischnecke jedenfalls spitze). Am südlichen Rand von Hampstead Heath liegt der Parliament Hill. Von dort hat man einen tollen Blick auf die Skyline von London. Der Hügel ist Treffpunkt für Familien, Jogger und Spaziergänger. Auf den Bänken lässt sich mit Panoramablick schön picknicken (wenn nicht gerade ein Dogwalker mit seinen zehn hungrigen Pflegehunden vorbeikommt).

crazy Camden town

35 Minuten Fußweg sind es bis nach Camden Town, das pulsierende und teilweise sehr schräge Gegenstück zu Hampstead. Legendär ist der komplett überdachte Markt Camden Lock, ein verwinkeltes Sammelsurium von hunderten von Ständen und kleinen Shops, Foodstalls und Restaurants direkt am Regent’s Canal.Hier gibt es Kunsthandwerk, Schmuck, Schallplatten, bedruckte Shirts, handbemalte Schuhe, Lederjacken… Spannend aber teilweise überteuert ist die „Fressgasse“ mit Take-away-Ständen aus aller Welt. Bei 28 Millionen Besuchern pro Jahr kann es auf dem ehemaligen Werftgelände schon mal voll werden.

It's raining cats and dogs – gekonnt Unterschlupf suchen

Wenn es drei Tage durchregnet, hilft nur die Flucht in die Innenstadt, entweder um viel Zeit im Museum zu verbringen oder zum Shoppen. London hat mehr als 170 Museen und viele davon sind Weltklasse und kosten nicht einmal Eintritt. Hier meine Auswahl:

Natural History Museum

Berühmt ist das riesige Blauwal-Skelett, das in der großen Halle von der Decke baumelt. Sehr spannend ist auch die ewig lange Rolltreppe, auf der man als Besucher direkt ins Innere einer riesigen Erdkugel fährt. Aktuell gibt es auf der Webseite des Museums 14 virtuelle Touren, unter anderem zum Blauwal und zur Ausstellung „Magische Tierwesen und wo sie zu finden sind“. Auch eine Runde durchs ganze Museum ist möglich.

National Gallery

Die National Gallery ist für ihre mehr als 2000 Gemälde vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert berühmt. Für mich ist schon das Gebäude selbst einen Besuch wert: Dunkelrote Wände, an denen riesige Gemälde in goldenen Rahmen hängen, hohe verzierte Kuppeldecken und ganz viel Stuck und aufwendig geschnitzte Türportale. Da fühlt man sich wie in einem Palast. Die Auswahl der „anwesenden“ Künstler ist Weltklasse, unter anderem Da Vinci, Hohlbein, Botticelli und Van Gogh.

Victoria & Albert Museum

Eines meiner liebsten Museen ist das Victoria and Albert. Das “the world’s leading museum of art, design and performance” ist unglaublich vielseitig was seine 2,3 Millionen Exponate und die Sonderausstellungen betrifft. In einem Raum dreht sich alles um Orient-Teppiche, im nächsten um griechische Statuen und wieder im nächsten zeigen 3.500 Kostüme und Accessoires die Entwicklung der Theater vom 18. Jahrhundert bis heute. Der Eintritt in die Sammlung ist frei, Sonderausstellungen kosten extra.

Imperial war museum

Im Urlaub in ein Museum über Krieg? Ernsthaft? Zugegeben, vor meinem ersten Besuch in einem Tank Museum (Panzer) in der Vorweihnachtszeit war ich von dieser Idee nicht gerade begeistert. „Christmas in the trenches“/“Weihnachten im Schützengraben hieß die Ausstellung“, in die mich Freunde geschleppt haben. Rückblickend ist es das Museum, das mir am meisten unter die Haut ging, und an dessen Besuch ich mich nach zehn Jahren immer noch sehr gut erinnern kann. Geschichte zum Anfassen ist eben doch eingängiger als die Themen nur mittels Büchern in der Schule abzuhandeln. 

Tate modern

Moderne Kunst ist nicht immer so mein Geschmack, aber die Tate Modern lohnt schon wegen der coolen Location. Das ehemalige Kraftwerk mit dem charakteristischen Ziegelturm fühlt sich gar nicht an wie ein typisches Museum. Es vereint Malerei, Fotografie und Performance und gilt als eines der weltweit führenden Museen für moderne Kunst. In der riesigen ehemaligen Turbinen-Halle sind Großformate ausgestellt. Und „groß“ meint hier wirklich meterhohe Installationen, durch die man als Besucher hindurchgehen kann. Wer die Themse mal aus einer anderen Perspektive sehen möchte, macht einen Abstecher ins Museums-Café.

hARRODS

Nicht kaufen, nur gucken… So ging es mir bisher meistens bei Harrods, Londons nobelstem Kaufhaus und einem der luxuriösesten der Welt. Die Preise sind zum (Groß-)Teil einfach verrückt und jenseits dessen, was ich jemals für irgendwas bezahlen würde und könnte. Aber schon wie die Waren präsentiert werden, macht Laune. Am liebsten mag ich die Foodhall mit ihren exotischen Obstsorten, internationalen Süßigkeiten, Fischen, die ich vorher noch nie gesehen habe und hin und wieder einem Probierstand. Und das Beste: Ein fancy Törtchen oder ein ausgefallenes Sandwich sind sogar im Luxus-Kaufhaus preislich drin.

Ein weiteres Kaufhaus der Superlative ist das Westfield Stratford City im Osten Londons. Es gilt als das größte städtische Einkaufszentrum in Europa. Bei knapp 250 Geschäften kann man einen Regentag locker mit Power-Shopping verbringen.

Borough Market

Der Borough Market ist einer der ältesten Märkte in London. Ganz rustikal unter einer Brücke zwischen den Pfeilern bieten hier jeden Samstag Bauern, aber auch Foodtrucks, Kunsthandwerker und Floristen ihre Waren an. Die Auswahl reicht von klassischem Obst und Gemüse über heiße Eintöpfe, Pasteten, Sandwiches, Patisserie-Teilchen, Blumenschmuck, Vintagedeko… Am besten vorher einmal einen Überblick verschaffen, was es alles Tolles gibt und dann gezielt genießen und den Rucksack mit Proviant oder Mitbringseln füllen.

Leadenhall Market alias Winkelgasse

Der Leadenhall Market ist ein Muss für Harry-Potter-Fans. Die mit Gusseisen und Glas kunstvoll überdachte Ladenzeile war Drehort für die Winkelgasse im Film „Der Stein der Weisen“. Seit dem 14. Jahrhundert findet in dieser Ecke Londons Markt statt. Früher handelte man mit Geflügel, Käse, Wolle und Leder. Heute kann man dort auch Fisch, Fleisch, Delikatessen, Wein oder Blumen kaufen, und danach in einem der Restaurants Mittagessen. Der Leadenhall Market ist durchgängig zugänglich, die Geschäfte sind im Normalfall montags bis freitags ab 7:00 Uhr geöffnet.

Twinings

Egal was das Wetter so treibt, einmal während jedem Aufenthalt in London muss ich zu Twinings Tee kaufen. Das ist einfach mein liebstes Mitbringsel. Das Traditionsgeschäft gegenüber den Royal Courts of Justice übersieht man leicht. Im schmalen, holzgetäfelten Shop stapeln sich die Teesorten in die Höhe. Vor jedem Stapel steht ein Riechgläschen, um einen Eindruck von den Aromen zu bekommen. Wer gerne zu Fuß unterwegs ist, kann in 90 Minuten von Hampstead in die Stadt spazieren. Ein Teil der Strecke führt durch den wunderschönen Regent’s Park.

Fazit

Drei Tage in London sind auch bei scheußlichem Wetter ein Erlebnis. Die Stadt ist mit ihrer Vielfalt an Architektur, Kultur, Geschäften und Natur einfach unschlagbar. Dank eigener Wohnung in einem wirklich schönen Viertel und dem Kontakt mit Engländern beim Vorsingen und Hochwasser bekämpfen war es ein richtiges Eintauchen in den englischen Alltag. Nur das Fernsehprogramm muss auf Dauer wirklich nicht sein.