Fernweh nach England und Schottland ist im Moment eine ziemlich lästige Angelegenheit. Es lässt sich nicht kurieren, denn für ein paar Tage auf die Insel fliegen ist nicht drin. Und es lässt sich auch schwer auf später vertrösten, denn wann ist dieses „später“? Vergangenes Frühjahr war ich mir sehr sicher, dass es kein Großbritannien-freies Jahr werden würde (ich war doch die letzten 11 Jahre auch jedes Jahr dort und wenn es im Sommer nicht klappt, dann bestimmt über Weihnachten). Rückblickend schon sehr optimistisch gedacht. Letztlich waren wir im August dann in Dänemark, coronabedingt mit dem eigenen Auto. Definitiv ein sehr schöner Urlaub, aber nichts gegen das Fernweh nach England und Schottland. In den vergangenen Monaten habe ich mir daher ein Konzept überlegt, wie ich möglichst viel britisches Lebensgefühl in meinen süddeutschen Alltag integrieren kann. Meine persönliche Fernweh-Strategie verrate ich in diesem Beitrag und in Teil 2 und Teil 3 der Serie.

"Fernweh aufessen"

Mit Essen und Trinken klappt es bekanntlich super, Urlaubsgefühle zu wecken bzw. den kleinen „Ich will aber nach England“ für eine Weile ruhigzustellen. Schon beim Kochen rückt die Insel ein gutes Stück näher. Viele Rezepte (ausgenommen vielleicht Haggis) lassen sich mit deutschen Zutaten problemlos umsetzen und man muss kein Sternekoch sein, um ein authentisches Gericht auf den Teller zu bringen.

PUBKLASSIKER

An der Spitze meiner Lieblingsgerichte steht mit Abstand der Pubklassiker Steak-and-Ale-Pie (oder als vegane Option Mushroom-and-Ale-Pie). Im Prinzip ein Biergulasch im Teigmantel. Dazu gibt es Kartoffelbrei und grünes Gemüse. Bei den Briten sind es oft Erbsen, wobei ich den Verdacht habe, dass es weniger das Lieblingsgemüse der Nation als vielmehr ein praktisches „Alibi-Gemüse“ ist. Ich hab jedenfalls noch keinen Briten beobachtet, der sein Tellerchen leer gegessen hat.

Etwas eleganter und erbsenfrei kommt der Seafood Chowder daher, ein Fischeintopf, den ich in einem schottischen Pub das erste Mal gegessen habe. Der Seafood Chowder ist reich an verschiedenen Fischsorten, Garnelen und manchmal auch Muscheln und wird mit Fenchel und Sahne verfeinert. Heizt im Winter gut ein und bringt das Meer quasi vor die Haustür.

Für den Alltag ist das englische Familienessen Macaroni-and-Cheese super. Es geht schnell, räumt bei Bedarf sämtliche Käsereste aus dem Kühlschrank auf und verträgt alle möglichen „Add-ons“ (wie ich eben gelernt habe „Add-ins“ im Englischen): Speck, Semmelbrösel, Spinat, Chili, Hühnchen, Shrimps…. Im Zweifel alles, was gerade wegmuss.

Home sweeeeeet home

Und dann gibt es da ja noch jede Menge süße Kalorienbomben. An denen komme ich im Urlaub schwerlich vorbei und die dürfen natürlich auch im England-Entzug zu Hause nicht fehlen. Fangen wir mal beim Nachtisch, den Puddings, an:

Der Sticky-Toffee-Pudding war das erste englische Dessert, das ich beim Essen mit Freunden probieren „musste“. Eigentlich war ich schon pappsatt und vermutlich deshalb hat sich dieser extrem süße und reichhaltige Nachtisch in mein Gedächtnis eingebrannt. In der Kurzfassung handelt es sich um ein Schoko-Dattel-Küchlein, das in Sahne-Karamellsauce badet. Nichts für schwache Mägen.

Für Liebhaber von Banane und Karamell ist der Banoffee-Pie ein Muss. Auf Keksbröselboden kommt eine Schicht Milchkaramell (Dulce de lece), eine Schicht Bananenscheiben und als Abschluss eine dicke Schicht Sahne und Schokoraspeln. Sehr simpel zu machen und „very British“.

Etwas ungewöhnlich für ordnungsliebende Menschen ist der Nachtisch „Eton Mess“, den es auch als Fudge oder Eissorte gibt: zerbrochene Meringen, Schlagsahne und Erdbeersauce. Hübsch chaotisch in einer Glasschale anrichten. That’s it.

Die Dessertkarte im Pub wäre vermutlich an dieser Stelle noch nicht zu Ende, aber wir wollen ja für den Afternoon Tea noch etwas Platz lassen, oder? Also, dann mal ran an den Speck – und das ist in diesem Fall wörtlich gemeint. Britische Kuchenkreationen sind allesamt „very rich“ und vereinen meist viel Zucker und Fett. Aber von irgendwas muss der kleine „Ich-will-aber-nach-England“ ja groß und stark werden.

Afternoon Tea
Britischen Lifestyle kann man beim Afternoon Tea so richtig zelebrieren. Auf einer Étagère werden drei Gänge in Szene gesetzt: Fingersandwiches, Törtchen, Scones mit Clotted Cream und Erdbeermarmelade. Dazu viel Schwarztee. Wie viele verschiedene Sorten Sandwiches, beispielsweise Gurke, Krabbe, Cheddar, und Törtchen gereicht werden, ist Sache des Gastgebers. Den bisher edelsten Afternoon Tea hatte ich im Reid’s Palace auf Madeira, mit Champagner, Blick aufs Meer und einer Étagère, die auf Wunsch immer wieder nachgefüllt wurde. Wie im Schlaraffenland – eine Hochzeitsreise macht man eben meistens nur einmal. Simpler, aber immer wieder ein kleiner Inselurlaub, ist der Cream Tea. Er besteht „nur“ aus Scones, Clotted Cream und Marmelade (im Idealfall alles selbstgemacht). Je nach Grafschaft heißt er Cornish Cream Tea, Devon oder Dorset Cream Tea.
 
Und wo bleibt der Kuchen? Wenn er nicht beim Afternoon Tea in Törtchenform dabei ist, macht er natürlich auch solo mit einer Tasse Tee, einer „cuppa“, eine gute Figur. Diese drei findet man in fast jeder Auslage: Carrot Cake, Hummingbird Cake und Lemon Cake.
 
Reicht noch nicht? Dann geht es hier zum zweiten Teil der Serie mit Schwerpunkt Literatur, Filme und Games.

 

Englischer Steak-and-Ale-Pie
Deftiger Klassiker: Steak-and-Ale-Pie
Homemade Mac and Cheese, serviert auf einem Vintage-Teller
Räumt den Kühlschrank auf: Macaroni-and-Cheese
Zum Afternoon Tea gehören Scones und Clotted Cream. Mit meinem Rezept gelingen sie dir ganz leicht.
Hummingbird Cake vegan interpretiert
Hummingbird Cake, garantiert ohne Kolibri, dafür mit Ananas und Pekannüssen.